Armenien - Estland 2:2 (Qualifikation zur WM 2010, 28.3.2009)

Werbung in Eriwan für das Länderspiel gegen Estland
Ich gestehe gleich zu Beginn: Bis vor einem halben Jahr hätte ich Armenien, Georgien und Aserbaidschan auf der Landkarte nicht unfallfrei lokalisieren können. Klar, die drei Ex-Sowjetrepubliken im Kaukasus – aber wie war das noch gleich? Lag Armenien über Georgien oder doch eher umgekehrt? Und welches Land grenzt noch gleich ans Kaspische Meer? Einfachste Möglichkeit, um diese Lücken zu stopfen (gut, neben dem Diercke-Atlas vielleicht): Hinfahren.

Also wurden fleißig Spielpläne gewälzt – allen voran die geschlossene Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan behinderte die Planung doch erheblich – und für Ende März ein passender Zeitraum gefunden. Also glücklich zum noch im Schrank stehenden Lonely Planet mit dem schönen Namen „Eastern Europe“ gegriffen, um gleich mal zu schmunzeln: Sooo weit reicht „Osteuropa“ in der Geographie der Backpaper-Bibel dann doch nicht…

Also die "richtige" Ausgabe besorgt und schließlich als wichtigste Vorbereitung das Visum für Aserbaidschan in Angriff genommen. Und, wer hätte das gedacht: Völlig problemlos flatterte dieses schon nach einer Woche ins Haus. Dass wir das angegebene Fünf-Sterne-Luxus-Hotel in Baku kurz vor der Abreise leider stornieren mussten, konnten wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht ahnen…

Die neue Kathedrale von Eriwan
Über Lettland nach Armenien

Am frühen Donnerstagmorgen hieß es somit für uns zwei: Auf geht’s! Ryanair brachte uns zunächst von Hahn nach Riga, von wo es am späten Abend mit Air Baltic nach Eriwan weiter ging. Mit an Bord: Etwa 20 Estland-Fans, die sich während der vier Stunden in der Luft schon kräftig in Stimmung tranken. Zu unserem Vorteil: Bei der Visum-Ausstellung am Flughafen galt das Interesse eher den singenden Balten als uns, Nachfragen ob unseres Aserbaidschan-Visums blieben aus. Nach nur 20 Minuten hatten wir unser erstes Ziel erreicht – Armenien.

Was also macht man mitten in der Nacht am Flughafen von Eriwan und ohne gebuchte Übernachtung? Richtig, man lässt es erstmal hell werden. Also die Taxi-Mafia ignoriert, ab in den Abflugbereich, ins Cafe gesetzt und drei Stunden lang die chaotische Atmosphäre genossen. Großartig! Unbezahlbar aber der Moment, als die Sonne längst aufgegangen war und wir eher zufällig einen Blick durch die Glasfront warfen: Denn was türmte sich da am Horizont auf? Der mächtige und schneebedeckte Ararat! Gänsehaut, wie hab ich dich vermisst.

Mit der überfüllten Marschrutka ging es irgendwann doch mal in die City, und nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten war unsere Bleibe erreicht: Das Envoy Hostel, quasi Anlaufstelle Nummer eins für alle Backpacker oder wie man diese Rucksack-Reisenden nennt. Und, welch Freude, unser Zimmer war bezugsfertig, also endlich endlich ein paar Stündchen aufs Ohr gehauen und die erste Erkundungstour auf den Nachmittag geschoben. Diese wurde am Samstag intensiviert, Details spare ich mir, ehe am Abend endlich das erste Spiel auf dem Programm stand: Armenien gegen Estland in Gruppe 5 der WM-Qualifikation.

Armenuiens Republic Stadium Hanrapetakan in Eriwan

Sportlich recht bedeutungslos – Armenien hatte vor dem fünften Spieltag exakt null, Estland immerhin einen Punkt auf dem Konto – fand das Spiel leider nicht in der Riesenschüssel Hrazdan (55.000, einst sogar 90.000) statt, sondern wie die meisten Länderspiele im Republic bzw. Hanrapetakan Stadium am anderen Ende der Stadt. Der wesentlich modernere und erst 2008 gründlich renovierte All-Seater, der zugleich Heimstätte von Pyunik Eriwan ist, fasst „nur“ 15.000 Zuschauer. Punkten kann das Rund in erster Linie von Außen: Aus zahlreichen Rundbögen blicken Bronzestatuen aus der klassischen Mythologie auf den Vorplatz herab. Für Nostalgiker interessant ist vielleicht auch das langsam verrottende Schwimm-Stadion hinter der Gegengerade mit Sprungturm und allem was dazugehört.

Das Stadion Hanrapetakan von Außen
Türkischer Berg im armenischen Wappen

Für 7000 Dram (ca. 14 Euro) gönnten wir uns einen Platz auf der Haupttribüne. Etwa 5000 Interessierte fanden sich schließlich ein, immerhin 150 davon aus Estland. Wir drückten freilich dem Team mit dem Ararat auf der Brust die Daumen. Kleine Anekdote am Rande: Der Berg, an dem einst Noahs Arche gestrandet sein soll, liegt heute pikanterweise in der Türkei, die wegen der armenischen Ararat-Anbetung sogar einst eine Protestnote verfasste. Die nicht eben dumme Antwort aus Armenien: Der Mond bzw. eine Mondsichel gehörten jawohl auch nicht zur Türkei… Treffer versenkt, sag ich mal.

Nach der voller Stolz vorgetragenen Nationalhymne (---> Video) feuerten die Hausherren überraschend lautstark ihre Mannschaft an, meist mit dem knappen "Hayastan Hup-tor" ("Armenien, auf geht’s") – ein Schlachtruf, der schon 1990 während des Kampfes um Unabhängigkeit durch die Straßen Eriwans hallte. Tatsächlich gelang sogar der viel umjubelte Führungstreffer, ehe Estland zurückschlug und souverän 2:1 in Führung ging. Bis, ja bis zur 89. Minute, als das Schiedsrichter-Gespann aus Luxemburg etwas überraschend einen eigentlich geklärten Schuss über der Linie gesehen haben wollte – der etwas glückliche Ausgleich und damit erste Punktgewinn Armeniens war perfekt (---> Highlights).

Duduk, Lavash und selbst gemachter Apfel-Wodka

Für uns hieß es nun ab ins Bett, um am Sonntag gut gerüstet auf Tour zu gehen: Unser Hostel bot eine Fahrt „aufs Land“ an, und da durften wir (und ein paar Esten mit tüchtig Rest-Alkohol) natürlich nicht fehlen. Höhepunkt war zweifelsfrei der Besuch im Kaff Byurakan bei der Familie eines der Hostel-Betreiber, die im Wohnzimmer ein armenisches Mahl inklusive selbst gebranntem Apfel-Wodka angerichtet hatte. Sehr lecker! Danach wurde noch ein wenig auf der Duduk musiziert und von der Kunst der Lavash-Herstellung berichtet, ehe auch dieser Tag und damit unser Aufenthalt in Armenien ein Ende fand.

Am Montag klingelte der Wecker schon in aller Frühe, um den 9-Uhr-Minibus nach Tiflis zu erwischen. Nur mit einem Zettel in der Hand, auf den unser Nachtportier in völlig unleserlichen armenischen Buchstaben „Können Sie mir sagen, wo die Marschrutka nach Tblisi abfährt? Vielen Dank!“ geschrieben hatte, ging es somit auf zum Busbahnhof - neuen Abenteuern entgegen.

Eriwan, Zentrum Stadion Hanrapetakan in Eriwan Ausflug aufs Land