Wer nicht gerade "Maria, ihm schmeckt’s nicht" gelesen hat, dürfte von Campobasso noch nie gehört haben.
"Campobasso, 250 Kilometer südöstlich von Rom in den Bergen, Hauptstadt der selbst den meisten Italienern fast unbekannten Provinz Molise", schreibt Autor Jan Weiler in seinem Erfolgsbuch über die Heimat seines Schwiegervaters. Und legt nach:
"Zwei Dinge verleihen Campobasso aber doch eine gewisse Bekanntheit, ja Berühmtheit. Ein Gefängnis, in dem eine Reihe bedeutender Mafiabosse Kost und Logis beziehen, und die Großmutter Robert De Niros, die ihren Lebensabend in einem Nachbarort von Campobasso verbringt."
Vierte Liga im großen Stadion
Und, möchte man hinzufügen: Ein recht erfolgreicher Fußballverein. Der ist zwar ziemlich chaotisch, wie es sich für einen Klub aus einem Apenninen-Nest gehört, und muss sich nach Bankrotts regelmäßig neu gründen (1990, 1996, 2002). Dafür ist der heute als "Polisportiva Nuovo Campobasso Calcio" firmierende Verein seit 2010 wieder im Profifußball. Nicht ganz störungsfrei, versteht sich: Zu Saisonbeginn wurden dem Klub wegen "finanzieller Unregelmäßigkeiten" mal eben zwei Punkte abgezogen, zudem wurden Teile des Stadions wegen Baufälligkeit gesperrt. Willkommen in Süditalien.
Jenes Stadion ist freilich der wahre Grund meiner 220-Kilometer-Tour von Bari in die Berge. Denn das Stadio Nuovo Romagnoli wurde 1985 eröffnet, als Campobasso noch Dauergast in der Serie B war und sogar nach oben schielte. Entsprechend groß ist die Spielstätte geraten: Rundherum zwei Ränge, eine wuchtige Haupttribüne, ein Fassungsvermögen von 25.000. Viel zu groß für einen Viertligisten also. Aber eine Reise wert.
Geduld beim Ticketkauf
Erstes Problem am Stadion: der Ticketkauf. Auch im italienischen Hinterland greifen die strengen Regeln des Verbandes, Karten gibt es nur gegen Ausweis und mit aufgedrucktem Namen. Wenn dann nur ein Fenster in der Biglietteria geöffnet hat und pro Käufer zwei Minuten verstreichen (bei mir drei, einen deutschen Ausweis zu lesen ist offenbar schwieriger), dann kann schnell eine lange Schlange entstehen. Eine sehr lange. Und so ging es erst zehn Minuten vor Anpfiff für 15 Euro auf die Haupttribüne. Den Namen auf der Karte hat freilich niemand abgeglichen.
Das Stadio Nuovo Romagnoli, auch bekannt als Selvapiana, ist wie erwähnt viel zu groß für seinen Nutzer. Aber sehenswert: Auf den kleinen Unterrang wurde ein großzügiger Oberrang gesetzt, zwischen beiden öffnet sich das Stadion für einen Blick nach draußen. Die zahlreichen Betonstufen sind garniert mit einem Haufen Wellenbrecher - sehr hübsch. Abgesehen von der Haupttribüne fehlt jegliche Überdachung. Die in diesen Breitengeraden wohl ohnehin eher gegen die Sonne als gegen Regen helfen würde: Ende Oktober, 24 Grad, keine Wolke am Himmel, so lässt es sich aushalten.
Ein Zwilling in Benevento
Ein paar weitere nette Fakten gefällig? Aber gerne:
- Benannt ist das Stadion nicht etwa nach Leandro Romagnoli, der etwa 48-mal bei Borussia im Gespräch war, sondern nach Giovanni Romagnoli, einem 1929 in Libyen getöteten Jagdflieger aus Campobasso
- Das Stadion hat einen Zwilling: Das Stadio Ciro Vigorito in Benevento ist nahezu baugleich
- Das liegt freilich an seinem Architekten: Der heißt Costantino Rozzi - und war viele Jahre Präsident von Ascoli Calcio
- Sogar ein Länderspiel fand hier statt: 2003 gewann Italien in Campobasso 2:0 gegen Nordirland. Die Einnahmen kamen den Hinterbliebenen der 29 Opfer zugute, die 2002 bei einem Erdbeben im nahen Dorf San Giuliano di Puglia ums Leben kamen
"Rot blaue Brüder - Zum Angriff"
Bei besagtem Länderspiel war das Stadion ausverkauft, heute wenig überraschend nicht: Etwa 500 Zuschauer tummeln sich auf den beiden freigegebenen Tribünen, Gäste sind keine auszumachen. Sehr erfreulich: Eine Gruppe von etwa 15 Fans lässt es sich nicht nehmen, mit Gesängen und Fahnen die Heimmannschaft zu unterstützen. Chapeau! Für etwas Verwunderung sorgt einzig die Zaunfahne mit der (deutschen) Aufschrift "Rot blaue Brüder - Zum Angriff". Keine Ahnung, ob der Spruch etwas über die politische Färbung der Besitzer aussagen soll - die Herren, die nach Spielende die Fahne zusammenfalten, sehen jedenfalls recht "normal" aus.
Apropos: Besagtes Spiel ist, besonders in der ersten Halbzeit, eine Katastrophe. Erst nach der Pause werden die heimischen Rossoblu (Spitzname: "Lupi", also Wölfe) etwas mutiger, erst recht nach den zwei (zu) späten Platzverweisen gegen das Team aus L'Aquila (wo bekanntlich 2009 ein noch schwereres Erdbeben 308 Todesopfer forderte). Am Ende bleibt es beim tristen 0:0, das insbesondere die alten Männer auf der Tribüne mit lautstarken Schimpfkanonaden kommentieren.
Ob wohl auch Jan Weilers Schwiegervater darunter war?