Gayson Stanley im Interview: "Ich muss mir den Kick irgendwo holen"

Interview mit Gayson Stanley

Gayson Stanley hat wieder zur Tastatur gegriffen: Trotz Corona hat der Prof die 100 Länderpunkte vollgemacht und berichtet in seinem neuen Buch "In 100 Ländern um die Welt", das man unter anderem hier bestellen kann, von seinen Reisen in erschwerten Zeiten. Baedw.de hat sich mit dem Nordlicht unterhalten.

Baedw: Hallo Prof! Wir Hopper hatten es in den letzten Monaten ja nicht gerade leicht. Wie ging es dir in Corona-Zeiten?
Gayson Stanley: Am Anfang war es ein hartes Brett zu sehen, wie die Selbstverständlichkeit innerhalb weniger Tage pulverisiert ist und man drei Monate keinen Fußball geschaut hat. Für mich war das unheimlich schwer. Der Hopper ist ja nur in seinem Element, wenn er im Stadion ist und ein Spiel sehen kann.

Baedw: Wie würdest du diese Zeit zusammenfassen?
Stanley: Das war "next level" und wahrscheinlich ein bisschen wie in den 90ern, als es kein Internet gab und höchstens Videotext. Das sind die Hopper auch einfach losgefahren in der Hoffung, dass das Spiel auch stattfindet. Jetzt fühlt es sich ähnlich schwierig an. Es war jahrelang eine Selbstverständlichkeit, in den Billigflieger zu steigen und Dinamo gegen Hajduk zu schauen. Das war das Einfachste der Welt – jetzt hat es sich extrem verschlechtert.

Baedw: Wie war dein erstes Spiel nach der Pause?
Stanley: Das war am 26. Juni 2020 ein Viertligaspiel in Valkeakoski, PS 44 gegen Sääksjärven Loiske. Formal war es Deutschen noch nicht erlaubt, in Finnland einzureisen. Die Grenzkontrollen waren sehr stark, aber ich habe mich reingetrickst. Am Ende kamen 160 Zuschauer. Ich war heilfroh, dabei zu sein.

Baedw: Und wenig später ging es nach Tansania...
Stanley: Tansania hat damals Corona geleugnet und keine Maßnahmen unternommen, die Inzidenz war offiziell immer bei 0. Es gab keine Hürden, darum war es im Dezember so interessant für Hopper. Die Bilder vom Derby mit 60.000 Zuschauern machten im Internet die Runde. Vor Ort war es skurril: Wir sind da mit einer schrottreifen Fähre gefahren, 800 wie Ameisen zusammengepferchte Menschen, alle ohne Maske. Wir haben dann Simba SC gegen Polisi Tanzani gesehen. Wir waren froh, dass nur 6000 da waren und sich im Stadion verteilt haben.

Baedw: Wurdet ihr daheim nicht für verrückt erklärt?
Stanley: Als wir zurückkamen, waren wir im Testzentrum am Hauptbahnhof in Hamburg. Da war eine Dame, der ist alles aus dem Gesicht gefallen, als die gehört hat, wo wir herkommen. Die hatte Schnappatmung und ist fast explodiert. Ich kann das auch verstehen. Das war eine schwierige Zeit für alle. Und das war sicher auch unverantwortlich. Aber was willst du als Fußball-Junkie machen? Ich bin süchtig nach Fußball und muss mir den Kick irgendwo holen. Das ist das Leben, was wir gewählt haben.

Baedw: Und dann ging es gleich wieder nach Afrika...
Stanley: In Uganda bei Vipers SC gegen UPDF FC waren nur 200 Zuschauer zugelassen, nur Dauerkarten-Inhaber. Ich war kurz davor, mir eine Dauerkarte zu holen, auch wenn die halbe Saison schon um war. Die hätte nur 27 Euro gekostet. Ich bin aber dann doch reingekommen. Afrika an sich ist schon schwierig. Aber mit Corona, das ist echt Champions League.

Baedw: In deinem Buch erzählst du auch kuriose Geschichten von den Färöer...
Stanley: Ich war da bei Runavik gegen Barry Town in der Europa-League-Quali. Eigentlich war das unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Aber ich hatte Kontakt zum Vereinspräsidenten aufgenommen, der hat mich per Handschlag empfangen. Ich war der einzige wirkliche Zuschauer im Stadion. Es war neblig, ich habe die andere Seite nicht gesehen. Toll fand ich das alles natürlich nicht - ohne Zuschauer fehlt das Herz dieses Hobbys.

Baedw: Ein Spiel wurde sogar abgesagt, als du im Stadion warst...
Stanley: Bei Klaksvik gegen Slovan Bratislava war extra die zweite Mannschaft der Gäste angereist, weil die erste auf den Färöer in Quarantäne saß. Die zweite Mannschaft hatte dann aber auch einen Coronafall und durfte ebenfalls nicht spielen. Ich war im Stadion, die Mannschaft von Klaksvik war da, es fehlten nur die Spieler von Slovan. Die FIFA-Hymne wurde gespielt, Klaksvik lief ein, es wurde an- und direkt wieder abgepfiffen. Das war surreal.

Baedw: Schade um den Ground...
Stanley: Ja, der liegt schön am Berghang. Aber am nächsten Tag hat die zweite Mannschaft von Klaksvik im gleichen Stadion in der zweiten Liga gegen B68 gespielt. Und siehe da, alle 23 Zuschauer durften rein. Die meisten saßen eh im Auto, schön mit Sitzheizung. Das kennt man ja von den Färöer.

Baedw: Du berichtest in deinem Buch auch noch von vielen anderen Reisen. Nach Saudi-Arabien, nach Peru und auch nach Anguilla, wo der Länderpunkt nicht geklappt hat. War diese Zeit im Rückblick die Herausforderndste deiner Hopper-Zeit?
Stanley: Ich weiß nicht, wann die Organisation in den 20 Jahren mal so schwierig war wie in den letzten eineinhalb Jahren. Für mich ist es eine Kunst, um die Welt zu reisen und Fußball-Spiele zu schauen. Die Kunst liegt darin, dass es so funktioniert wie geplant. In Ländern wie Indien oder der DomRep kann es derzeit immer passieren, dass die Liga zugemacht wird oder die Regierung den Ausschluss der Fans beschließt.

Baedw: Derzeit gibt es wieder mehr und mehr Geisterspiele. Geht alles wieder von vorne los?
Stanley: Wir suchen immer nach der Nische, nach dem Schlupfloch. Das wird sich in Zukunft auch wieder öffnen, aber auch wieder schließen. Man muss die Länder raussuchen, wo man hinfahren kann. Und da sind wir mittlerweile eingespielt und voll im Saft. Dennoch: Ich mache drei Kreuze, wenn das alles vorbei ist und diese Unsicherheit wegfällt.

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