Levski Sofia - CSKA Sofia 2:0 (30.9.01)

Intro auf Levski-Seite Pozdravi hat es drauf. Er steckt sich den Sonnenblumenkern zwischen die Schneidezähne, knackt kurz die Schale, sucht mit der Zunge nach dem Innenleben und spuckt die unbrauchbare Hülse auf die Sitzreihe vor uns, während seine Finger schon nach Nachschub gieren. Noch sind die meisten Plätze des Stadions Georgi Asparoukov leer, 60 Minuten sind es noch bis zum Anpfiff des Sofioter Stadtderbys Levski - CSKA, und wie jeder echte Bulgare vertreibt Pozdravi sich die Wartezeit mit dem Vernichten der salzigen Körnerfrüchte, slanchogledovi semki genannt.

Während sich das Rund zusehends füllt lasse ich mir einen kurzen Überblick über den bulgarischen Fußball geben und lerne, dass es einen ansehnlichen Kick eigentlich nur bei den vier Hauptstadtvereinen - neben den beiden großen Klubs sind dies Lokomotiv und Slavia - zu sehen gibt. Erfolgsgeschichten wie die des Union Berlin-Bezwingers Litex Lovetch sind eher die Ausnahme und von kurzer Dauer. Auch fantechnisch spielen die Sofioter Vereine in einer eigenen Liga, in der einzig die agitki (Fans) aus Plovdiv und Dupnitza mithalten können. Überhaupt: Die Zuschauer... Pozdravi gerät ins Grübeln. Früher - ja, da musste man noch 8 Stunden vor dem Anpfiff im Nationalstadion Vasil Levski sein, um CSKA vor 65.000 Zuschauern gegen Ajax Amsterdam triumphieren zu sehen. Heute ist die riesige Betonschüssel eine Dauer-Baustelle. Die Arbeiter können sich Zeit lassen: Im UEFA-Cup sind Levski und CSKA längst ausgeschieden, zu Ligaspielen kommen selten mehr als 5000 Zuschauer - wer braucht die größte Sportstätte des Landes also?

Levskis Georgi Asparukov (Auch das heutige Spitzenspiel wird am Ende "nur" 19.000 Interessierte ziehen. "Kein Wunder", meint Pozdravi, "wie soll man sich auch bei einem Verdienst von 250 DM im Monat jedes Wochenende ein Ticket für drei Lewa (drei DM also) leisten können?". Darüber hinaus hat die Glaubwürdigkeit des bulgarischen Fußball in den letzten Jahren durch diverse "Fusionen" erheblich gelitten. Erst im Sommer tat sich der Drittligist Belasitsa mit Hebar 1920 zusammen, einem Erstligisten aus Pazardzhik. Der neu gegründete Klub startete in der höchsten Spielklasse -allerdings unter dem alten Namen und mit dem Spielerpersonal Belasitas, des (nun ehemaligen) Drittligisten. In der untersten (vierten) Klasse tauchte dafür ein neuer Verein namens Hebar 1920 auf, beheimatet in Pazardzhik... Einen ähnlichen Tausch der Ligazugehörigkeit zweier Vereine - nichts anderes wurde hier unter dem Deckmantel der Fusion vorgenommen - hatte es ein Jahr vorher zwischen den Vereinen Lokomotiv Plovdiv und Velbazd Kyustendil gegeben.

Kein Wunder also, dass bei solchen Praktiken die Zuschauerzahlen rückläufig sind. Der Anteil der Skins und gewaltbereiten huligani dagegen steigt. Immerhin: Den berüchtigten Fans aus Plovdiv wurde inzwischen deren Zaunfahne mit der (deutschen) Aufschrift "Gott mit uns", links und rechts eingerahmt von einem Hakenkreuz, verboten. Die entsprechenden Tätowierungen auf den Oberarmen jedoch bleiben. Camo Levski - "Einzig Levski" dröhnt es mittlerweile Das Ende des Spiels...lautstark aus der Heimkurve, da es nur noch 10 Minuten bis zum Spielbeginn sind. Pozdravi, CSKA-Anhänger, hält dagegen: Kur za Levski - "Levski-Schwänze".

Wie jedes Stadion in Bulgarien ist auch das Georgi Asparoukov in vier Sektoren eingeteilt, die nach den ersten Buchstaben das kyrillischen Alphabets benannt sind: Hinter den Toren befinden sich dabei die Bereiche "b" und "g", die Geraden werden mit den Buchstaben "a" (für die Haupttribüne) und "v" gekennzeichnet. Heute, zum gradsko derbi, dem Stadtderby, sind alle Blöcke gut gefüllt.

Um 14 Uhr, Ende September und noch immer an die 30 Grad heiß, zünden die Ordner (!) vor den Blöcken ihre bengalischen Fackeln, über den Köpfen der Levski-Fans wird eine Blockfahne entrollt, und für 90 Minuten ist Fußball der Mittelpunkt der Bulgarischen Hauptstadt. Levski gewinnt 2:0, und während die siegreiche Elf auf die Ehrenrunde geht, versuche ich mich ein letztes Mal an den Sonnenblumenkernen - wenig überraschend landet auch diesmal der Großteil auf dem Boden anstatt in meinem Mund. Ich habs halt nicht drauf.

Ein Video zu den Ausschreitungen zum Spielende (siehe Foto links) findet iht hier.